Die Bergschule in Schäßburg
- eine europäische Schule der Zukunft?

Ergebnisse einer Studienfahrt des Leistungskurses Geschichte vom Freiherr-vom-Stein-Gymnasium aus Leverkusen nach Siebenbürgen

"Eine eigentliche Volksschule, in welcher Kinder jeden Standes in der Muttersprache unterrichtet werden, hat es in Deutschland - abgesehen von einigen rühmenswerten Ausnahmen - vor der Reformation nicht gegeben." Diese Feststellung trifft der Bonner Wissenschaftler Karl Th. Becker bereits 1894 und fährt fort: "Anders war das bei dem deutschen Auswandererstamm in Siebenbürgen", von dessen Leistungen im Bereich Bildung und Schule der Autor schon damals begeistert war.

Mit gleicher Begeisterung machten sich 22 Schüler und ein Lehrer des Leistungskurses Geschichte vom Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Leverkusen am 25. April 1998 auf den Weg nach Siebenbürgen, um den Spuren dieses schon im Mittelalter berühmten Schulwesens der Siebenbürger Sachsen zu folgen. Ihr Ziel war die Bergschule in Schäßburg, die am 18. und 19. Oktober 1997 ihr 475-jähriges Bestehen gefeiert hatte und zu den traditionsreichsten Gymnasien des Raumes gehört.

Die Studienfahrt ist ein Ergebnis des Projektes "Schule in Europa - Europa in der Schule", das vor zwei Jahren an der Leverkusener Schule ins Leben gerufen wurde, mit dem Ziel der konsequenten Einbeziehung europäischen Bildungsgutes in den Fachunterricht, um so in einem Modell zu erkunden, welche Bildungsaufgaben und -ziele die Schule der Zukunft in einem vereinten Europa zusätzlich übernehmen muß und wie sie diesen gerecht werden kann. Dabei gingen die Leverkusener Lehrer davon aus, daß die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Identität es notwendig macht, sich der verschiedenen nationalen Identitäten bewußt zu werden, denn die Bürger Europas können nur dann erfolgreich zusammenleben und -arbeiten, wenn sie wissen, auf welchen nationalen sowie gemeinsamen Kulturtraditionen die Identität der anderen beruht.

Gerade hier wollte man auf die Erfahrungen der Siebenbürger Sachsen zurückgreifen, die sich von ihrer Einwanderung in diesen Raum bis heute als Mittler zwischen den östlichen und westlichen Regionen Europas betätigten, eine Mittlerrole, die bereits ihr Kolonistendasein bestimmt und sich aus der Polarität zwischen alter und neuer Heimat ergeben hat. Gerade im Rahmen ihrer Schulen kämpften sie nicht nur für den Erhalt der eigenen Identität sondern öffneten diese Schulen bereits im 18. Jahrhundert den anderen Nationen Siebenbürgens, den Ungarn und Rumänen, mit deren Identität man sich in den Schulplänen auseinandersetzte. Durch die Ausbildung ihrer Lehrer an westeuropäischen Hochschulen und die engen geistigen Verbindungen zur alten Heimat haben sie sich als natürlicher Katalysator kulturellen Austausches bewährt.

Das Schäßburger Vorhaben bot der Leverkusener Schule die Möglichkeit, die bisherigen Maßnahmen zum Aufbau und zur Pflege internationaler Kontakte sowie zum Ausbau der interkulturellen Verständigung unter dem Aspekt einer neuen, südosteuropäischen Komponente weiterzuführen. Durch Einbeziehung eines Leistungskurses Geschichte in dieses Projekt, der zusammen mit Schülern und Lehrern des "Josef-Haltrich-Lyzeums" in Rumänien arbeiten sollte, wurde das Thema "Europa" zu einer zentralen Aufgabe der fachlichen und erzieherischen Arbeit an beiden Schulen.

Das Projekt sollte in erheblichem Maße auch der Erhaltung des deutschen kulturellen Erbes in diesem Raum dienen, denn durch die Zusammenarbeit mit den Schülern in Rumänien wollte man die Aufmerksamkeit dieser jungen Generation auf die Leistungen der Deutschen Minderheit lenken. Gerade in diesem Bereich war die Projektfahrt ein voller Erfolg, denn die große Mehrheit der Schäßburger Schülerinnen und Schüler, aber auch fast alle Lehrer kannten die traditionsreiche Vergangenheit ihrer eigenen Schule kaum. Deshalb werden die Leverkusener den Wunsch des Lehrerkollegiums aus Schäßburg erfüllen und nach Abschluß ihrer Dokumentationsarbeit alle gesammelten Materialien dem Josef Haltrich Lyzeum zur Verfügung stellen.

Der inzwischen multikulturelle Charakter der Schäßburger Schule wurde produktiv für alle in der Projektgruppe genutzt, indem gerade die unterschiedlichen sprachlichen und sozialisatorischen Traditionen der einzelnen Schülergruppen in der praktischen Dokumentationsarbeit eingesetzt wurden. Ein großer Vorteil bestand allerdings darin, daß die Schäßburger Schüler die deutsche Sprache alle perfekt beherrschen, so daß es überhaupt keine Verständigungsschwierigkeiten gab.

In einem ersten Arbeitsschritt, der durch einen viertägigen Aufenthalt in der Siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim ermöglicht wurde, erstellten die Mitglieder des Leistungskurses Geschichte eine Literaturliste zum Thema "Bergschule" und kopierten das gesamte Material, um es in Leverkusen auswerten zu können.. Dabei wurde sehr schnell deutlich, daß wichtige Fragen zur Entwicklung dieser Schule nur in den rumänischen Archiven geklärt werden können. Im Anschluß an die Dokumentation der in Deutschland zugänglichen schriftlichen Quellen entwickelten die Kursmitglieder eine inhaltliche Gliederung des Themas mit insgesamt 5 Hauptkapiteln und 21 Unterkapiteln, die in Gruppenarbeit bearbeitet werden sollten.

Nach einer recht anstrengenden Fahrt von Leverkusen über Budapest nach Schäßburg wurden sie dort von Schülern, Eltern und Lehrern außerordentlich freundlich empfangen. Besonders erheiternd war die Aufteilung der Gastschüler auf die Gastfamilien, die ja keiner kannte, wobei auf Leverkusener Seite im Vorfeld der Aufteilung eine zwar nicht zugegebene, aber tiefsitzende Angst vor diesen unbekannten Südosteuropäern aus dem Lande Draculas vorhanden war. Doch am nächsten Morgen schwärmten alle mit strahlenden Gesichtern von der tiefen und unkomplizierten Gastfreundschaft der einheimischen Familien.

Nach einer offiziellen Begrüßung durch den Schulleiter der Bergschule, Herrn Prof. Mircea Maier, in der Aula des alten Gebäudes auf dem Schulberg wurde der Projektgruppe ein Arbeitsraum zur Verfügung gestellt, wo die gesammelten Materialien gesichtet, kopiert und bearbeitet werden konnten. Besonders beeindruckend war die Durchsicht des Schularchivs, in dem alle Protokolle der Lehrerkonferenzen von 1835 bis heute zu finden sind, die eine wichtige Grundlage für die Schulgeschichte bilden. In der Dokumentarbibliothek von Schäßburg, wo die gesamte mittelalterliche Gymnasialbibliothek aufbewahrt wird, konnte die Gruppe alle Gymnasialprogramme der Bergschule kopieren und auswerten sowie weitere wertvolle Informationen zur Schule sammeln, bis hin zu unveröffentlichten Aufnahmen zu den früheren Schulgebäuden, zu Rektoren und Lehrern der Schule.

Nach 4 Tagen intensiver Arbeit in Schäßburg nutzten die Gäste den 1. Mai, um zusammen mit den Schülern der Bergschule eine Rundfahrt durch die siebenbürgisch-sächsischen Dörfer der Umgebung durchzuführen. Dabei wurde nicht nur die Birthälmer Kirchenburg, eine der schönsten und besterhaltenen Wehranlagen Siebenbürgens besichtigt, es war noch genügend Zeit vorhanden, um einen Abstecher in die frühere Hauptstadt der Sachsen nach Hermannstadt zu machen.

Anläßlich der offiziellen Verabschiedung durch den Direktor der Bergschule, Herrn Prof. Mircea Maier, übergaben die Gäste der Schule ein Kopiergerät, das von Eltern aus Leverkusen gespendet wurde und in Schäßburg im Gebäude der Klassen V - VIII eingesetzt wird, wo es vorher keine Kopiermöglichkeit gab.

Am 2. Mai 1998 fuhren die Leverkusener dann mit dem Bus von Schäßburg über Reps auf die Schulerau in der Nähe von Kronstadt, wo sie für die nächsten Tage Quartier bezogen, um die mittelalterlichen Bestände des in Kronstadt aufbewahrten Schäßburger Magistratsarchivs auszuwerten. Den Sonntag (03.05.1998) nutzten sie bei strahlendem Sonnenschein für eine große Wanderung durch die Wälder der Südkarpaten, und nach einem Marsch von 20 km erreichten sie das große sächsische Dorf Rosenau, das nicht nur eine malerische Kirchenburg sondern auch eine gut erhaltene Fluchtburg besitzt.

Mit einer Genehmigung für den Zugang zu den rumänischen Staatsarchiven in der Tasche, die an sich schon Seltenheitswert hat, meldeten sie sich am Montag (04.05.1998) bei der Archivleitung in Kronstadt und waren sehr erstaunt, als sie feststellten, daß die Archivräume für den gesamten Publikumsverkehr geschlossen worden waren, um der Gruppe aus Deutschland ein ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen. Einige der 18 Archivare standen den Gästen für die nächsten 3 Tage zur Verfügung und waren bereit, alles zu suchen, was die jungen Forscher nur haben wollten. Mit einem solchen Empfang hatte wahrlich niemand gerechnet.

Daß die Projektgruppe an der tiefen Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit trotzdem nicht gescheitert ist, verdankt sie dem Archivar Dr. Gernot Nussbächer, einem Wissenschaftler, der wie kein anderer die siebenbürgische Geschichte kennt und den deutschen Schülern mit großer Geduld und vielen wertvollen Hinweisen einen Zugang zu den mittelalterlichen Quellen erst möglich machte. Ohne seine Hilfe wären der Gruppe zahlreiche Handschriften, unter anderem auch die erste urkundliche Erwähnung der Schäßburger Schule von 1522, unzugänglich geblieben.

Nach einer äußerst erfolgreichen Arbeit in Schäßburg und im Staatsarchiv Kronstadt, die etwa 1000 kopierte Materialseiten einbrachte, leitete der aus Siebenbürgen stammende Organisator der Fahrt, Oberstudienrat Hans Gerhard Pauer, am Donnerstag (07.05.1998) die Rückfahrt nach Leverkusen ein, wo die Gruppe nach Zwischenübernachtungen in Oradea und Pannonhalma (Ungarn) am Freitag (08.05.1998) gegen 19 Uhr eintraf.

Um im Rahmen dieses Projektes auch eine reale "Öffnung" der eigenen Schule zu gewährleisten, wurde bei der Planung und Durchführung dieses Vorhabens mit folgenden Partnern zusammenarbeiten:

Als Dokumentation des Projektes arbeiten die Leverkusener an der Erstellung einer Monographie zur Gründung und Entwicklung der Bergschule in Schäßburg, die schon seit ihrer Entstehung im 16. Jahrhundert eine "europäische" Schule war, in der zumindest seit dem 19. Jahrhundert die drei bedeutendsten Nationen Siebenbürgens, die Deutschen, Ungarn und Rumänen, gemeinsam unterrichtet wurden.

Durch die direkte Arbeit in Archiven vor Ort haben die Schüler aus Leverkusen auch eine wichtige Pionierarbeit geleistet; so waren sie die erste Gruppe, die nach der Wende in Rumänien ohne Einschränkungen in den Staatsarchiven in Kronstadt arbeiten konnte.

Gleichzeitig muß darauf hingewiesen werden, daß es sich bei diesem Projekt um eine Austauschmaßnahme handelt, denn die Schülergruppe aus Rumänien (22 Schüler und zwei Lehrer) wird in der Zeit vom 31. August - 12. September nach Leverkusen kommen und zusammen mit den Schülern der Leverkusener Schule an der Fertigstellung der Projektarbeit (Monographie der Bergschule in Schäßburg) mitwirken.

Um den Besuch der Schäßburger Schüler überhaupt möglich zu machen, hatte die Schauspiel AG der Leverkusener Schule sich für die letzte Vorstellung des Theaterstückes "Die schöne Helena" von Peter Hacks etwas Besonderes vorgenommen. Es sollten Gelder eingespielt werden, die man den Schülern in Rumänien schicken wollte. Die Bergschule hatte die Schülerinnen und Schüler der Schauspiel AG auf ihrer Rumänientournee im Herbst 1996 so freundlich aufgenommen und bewirtet, daß man sich für dieses Erlebnis bedanken wollte. Das Ergebnis war eine Spende von 2.000 DM, die bei der Ankunft in Schäßburg dem Bergschulverein überreicht wurden.

Für die finanzielle Unterstützung der Leverkusener Schüler danken diese dem Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart, dessen Reisekostenzuschüsse die Durchführung des Projektes erst möglich machten. Auch dem Siebenbürgen-Institut in Gundelsheim (Neckar) sind sie zu Dank verpflichtet; durch seine Empfehlung erhielten die deutschen Schüler Zugang zu den rumänischen Staatsarchiven in Tirgu-Mures und Kronstadt.


Leverkusen, 7.06.1998


H.G.P.



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Dokument: ../geschi/schule/berglev.htm, erstellt am 15.09.98, Autor: Dirk Beckesch, letzte Änderung am 20.02.01