HZ Nr. 1512/ 21.02.97

Die Preise passen sich der Kaufkraft an

Die Lebensmittel wurden zuerst teurer, dann billiger/ Warteschlangen an den Bankschaltern

Am Mittwoch und Donnerstag der vergangenen Woche - vor der Freigabe der Preise - hatten die Leute im Kaufrausch alles, was an Lebensmitteln zu haben war, aufgekauft - "es war wie zu Weihnachten" sagte eine Ladenbesitzerin. Am Freitag, als überall die neuen, d.h. höheren Preise hingen, gingen sie nur noch schnuppern und den Markt an ihrem Beutel messen. Die Händ1er mußten befürchten, auf ihrer Ware sitzen zu bleiben. Zwar kommentierte ein Verkäufer am Freitag die geringe Kauflust mit den Worten: "Die Leute müssen sich noch an die neuen Preise gewöhnen." Die Preisentwicklung der letzten Tage hat jedoch gezeigt daß in den meisten Fällen die Händler die Preise der Nachfrage bzw. der derzeitigen Kaufkraft angepaßt haben.

So konnte man am Samstag bei Crissonya in der Heltauergasse den Liter Milch (sonst 2.400 Lei) um 1.700 Lei kaufen, und es gab reichlich davon. Am Dienstag bot Crissonya die Milch noch zur Mittagszeit um 1.950 Lei auf der Straße vor dem Laden an.

Die Käufer ließen auf sich warten. Auch im Scandia-Laden gab es keinerlei Gedränge. Hier einige Preise: Schweinefleisch - 23.980 Lei das Kilo (bisher 11.050), Fleischwurst ("Pariser") - 21.340 Lei (15.000), Schweineleber - 19.790 (5.300), Die alten Preise waren nur schwer zu erfahren, der Ladenbetreiber mußte blättern und blättern... Dann fragte er plötzlich: "Wollen Sie nicht auch die Preise vom Nachmittag aufschreiben?"

Nach 15 Uhr wurden nämlich die verderblichen Lebensmittel im Scandia-Laden in der Heltauergasse um rund 25 Prozent billiger verkauft als am Vormittag. Das stimmte aber nur am Dienstag. Denn am Mittwoch gab Scandia andere Preise bekannt, die erheblich niedriger waren (aber natürlich. höher als vor der Preiefreigabe): z.B. Schweinefleisch - 19.000 Lei, Fleischwurst - 14.000 Lei.

Der Bauernmarkt hat ähnlich reagiert: Samstag kostete das Kilo Schafskäse (Telemea) auf dem Markt zwischen 11.000 und 12.000 Lei, Mittwoch schon nur noch 10.000. Nur noch die Milchverkäufer halten am alten Preis fest: 2.000 Lei.

Zum ersten Mal nach der Wende wurden in Rumänien die Preise im Herbst 1990 freigegeben. Die Hermannstädter Zeitung schrieb damals: "Erheblich gestiegen sind die Eisenbahnfahrkarten, und zwar auf das beinahe zweieinhalbfache: II. Klasse Hermannstadt - Bukarest mit dem Schnellzug stieg von 91 auf 200 Lei, I. Klasse von 134 auf 295 Lei." Die Preisspirale hat sich am 1. November 1990 zu drehen begonnen, als der Dollarkurs von 21 auf 35 Lei hinaufschnellte! Seit damals sind laut Statistik die Preise im Durchschnitt um das 193,8-fache gestiegen.

Man freut sich vielleicht, daß die Schlangen vor und in den Läden verschwunden sind. Das heißt aber keinesfalls, daß es sie überhaupt nicht mehr gibt. Seit Wochenbeginn stehen die Leute bei den Wechselschaltern der Banken an: Sie tauschen, man höre und staune, ihre Dollar-Ersparnisse in Lei um! Es lohnt sich, weil die Bankzinsen bei den Lei-Guthaben sehr hoch sind. Für einen Dollar bekommt man zur Zeit knappe 9.000 Lei.

Beatrice UNGAR


Zurück zur Hauptseite der Hermanstädter Zeitung
Dokument: ../hz/1512_2.htm, Autor: Michael Kothen, letzte Änderung 29.01.98