HZ Nr. 1519/ 11.04.1997

Gefährliches Pflaster Autobahn

Hilfstransport für rumäniendeutsche Kirchengemeinden in Ungarn ausgeraubt

Ungarns Autobahnen entwickeln sich mehr und mehr zum gefährlichen und teuren Pflaster für Touristen und Transitreisende, ja sogar für Hilfetransporte. Messerstecher und Räuberbanden machen mittlerweile systematisch die Strecke zwischen der Grenze Nickelsdorf (Hegyeshalom und Budapest unsicher. Gleichzeitig versteht es das offizielle Ungarn, Ausländer ganz legal auszunehmen. Während überall laute Klagen über das "Picken" die neueingeführte österreichische Autobahnplakette, zu hören sind, kassiert Ungarn unverfroren für die Benutzung oft weniger Kilometer Autobahnen, und das für Jede Fahrt einzeln. Der "Auto-Klub" schließlich, ein Unfall- und Pannennotdienst zockt gnadenlos ab - auch an der Steuer vorbei.

Anfang März haben wir am eigenen Leib erlebt, wie die Maschinerie aus legalem und illegalem Abzocken im Lande Ungarn funktioniert, das von westlichen Politikern immer als besonders weit entwickelt gepriesen wird.

Samstag, 1, März 1997. Wir fahren mit unserem Kleinbus und Anhänger mit Hilfsgütern für die evangelischen Gemeinden in Hermannstadt und im Banat. Gegen 20 Uhr erreicht unser Hilfstransport, der von den Jungen Europäern Mittelfranken in Zusammenarbeit mit der Johanniter-Unfallhilfe Lauf durchgeführt wird, die östereichisch-ungarische Grenze. An der ungarischen Zollstation Hegyeshalom kosten die Zollformalitäten insgesamt eine Stunde Zeit und zwanzig Mark Gebühr.

Den ersten Ärger gibt es in der Spedition, die die Ladeliste aussteht. Kaltschnäuzig werden für zwei Fotokopien zwei Mark verlangt. Als wir eine Quittung verlangen, wird uns der Betrag gönnerhaft erlassen, der wohl in der Tasche des Angestellten, nicht in der Kasse der Spedition verschwunden wäre.

Für die Autobahn zwischen Mosonmagyarövar und Györ gilt es umgerechnet rund zehn Mark Autobahnmaut zu berappen. Nach einiger Zeit ist Unruhe am rechten hinteren Fahrwerk zu verspüren. Wir steuern einen beleuchteten Parkplatz an und erkennen; Der Reifen ist platt. Eine Panne trotz gut ausgebauter Straßen

Sicherheitshalber rufen wir von dem Kiosk am Parkplatz den Pannendienst, gilt es doch nach dein Reifenwechsel einen abends noch arbeitenden Reifendienst zu finden. Während der Zeit des Anrufs steht die Beifahrerin direkt neben unserem Auto. Dabei wird sie von einem jungen Mann angesprochen, der dann blitzschnell verschwunden ist.

Wie sich später herausstellt, reichte diese Minute Ablenkung einem Komplizen, um aus dein Führerhaus unseres Kleinbusses eine Tasche mit Bargeld und Wertgegenständen m Wert von rund 800 DM zu stehlen. Das besonders Ärgerliche an der Sache: Das Einstechen des Reitens kann nur auf dem ungarischen Zollparkplatz in Hegyeshalom passiert sein, denn danach haben wir bis zu dem Parkplatz, auf den wir jetzt stehen, nicht mehr gehalten.

Nach dem Reifenwechsel führt der Mitarbeiter des Autoklubs uns zu einem Reifendienst. Dort wird zu nächtlicher Stunde schnell erkannt, daß der Reifen angestochen wurde. Er sollte sich langsam leeren und uns zum Halten bewegen. Unser Glück war der Halt auf dein beleuchteten Parkplatz, meint der rasch herbeigerufene Polizist. Sonst hätte es auch einen Schlag auf den Kopf und größere Beute geben können. Wir haben Glück im Unglück: Es fehlt "nur" ein Teil des Geldes, das verteilt war, die Papiere sind allesamt noch vorhanden, auch die Zoll- und Hilfstransportpapiere sind noch vollständig.

Doch jetzt wird legal abgezockt. Der Pannendienst will "282 Mark mit Quittung, 150 ohne", wie der Polizist auf Englisch brav übersetzt. Aus Celdnot ziehen wir letzteres vor wohl wissend, daß auch dieses Geld nicht dem "Autoklub", sondern dem Geldbeutel des Mitarbeiters zugute kommt. Doch mit 150 Mark weniger im Geldbeutel läßt sich unser Transport nach Rumänien gerade noch durchführen. Nach der Erstattung eitler Anzeige auf der Pollzeistation in Tata wird die Fahrt nach Rumänien fortgesetzt.

Auch die Rückreise am 5.März hält legales und schikanöses Kassieren in Ungarn bereit. So nötigt der Zöllner m Artand uns, zur Einreise nach Ungarn eine Ladeliste über "Leere des Fahrzeugs" zu kaufen. Acht Mark und zwanzig Minuten kostet dieser Spaß.

Hinter Budapest kommen wir abends am Tatort vorbei, wo der Diebstahl stattgefunden hatte. Mein jetziger Beifahrer, der ungarisch spricht und ich steuern die Polizeistation in Tata an, um zu sehen, ob aus der Anzeige etwas geworden ist, vielleicht sogar die gestohlene Tasche wieder aufgetaucht ist.

Hinter unserem Hllfstransportauto fährt plötzlich ein Wagen, der minutenlang Lichtzeichen gibt. Wir fahren bei nächster Gelegenheit doch rechts ran und - vorsichtig geworden - drehen wir das Fenster nur zwei Zentimeter herunter. Vielleicht ist ja etwas an unserem Anhänger Als der nach vorne gekommene Fahrer nur wirres Zeug in gebrochenem Deutsch erzählt, erscheint die Sache wieder faul. Wir geben Gas und brausen los. Kurz danach überholt uns dieses Fahrzeug6 ein weißer Audi 100 mit einem grünen Wiener Kennzeichen.

Auf dem nächsten Parkplatz genügt ein Blick auf den rechten hinteren Reifen, um zu wissen, daß die Bande wieder zugeschlagen hat. Doch dieses Mal entkommen wir den Räubern. Wir verlassen die Autobahn und fahren zur Polizeistation in Täta, die wir noch vom Diebstahl am Samstag her kennen. Der gleiche Polizist hat Dienst.

Doch statt aufgrund der genauen Beschreibung von Fahrzeug und Fahrer eine Fahndung einzuleiten, fertigt der Polizist uns durch die Hinterfenster des Polizeigebäudes ab und macht sich nicht einmal Notizen. Er werde die Angelegenheit am nächsten Morgen weitergeben, bescheidet er dem ungarischen Beifahrer lapidar.

Nach dem neuerlichen Reifenwechsel und der Reparatur des zweiten zerstochenen Reifens kommen wir um Mitternacht am ungarischen Zoll in Hegyeshalom an. Dort erntet die "Ladeliste" aus Artand lautes Lachen des Zöllners. Dieses acht Mark teure Papier war also schlicht eine Schikane des ungarischen Zöllners in Artand.

Was bleibt außer den 800 Mark Schaden? Lange Gesichter und die Einsicht, daß Ungarn wohl doch noch nicht so europareif ist, wie es immer heißt solange legales und illegales Abkassieren dort zum Alltag gehört. Und es bleibt die schale Gewißheit, daß Temposünder und Falschparker in Ungarn wahrscheinlich härter verfolgt werden als Gewalttäter und Diebe. Hilfstransporte für Rumänien scheinen in der Magyarenrepublik jedenfalls auf wenig Liebe zu stoßen.

Jürgen HENKEL



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Dokument: ../hz/1519_6.htm, letzte Änderung 29.01.98, Autor: Michael Kothen