HZ Nr. 1522/09.05.1997

Die Dämonen der Vergangenheit sind lebendig

Der Schwarze-Kirche-Prozeß war Thema einer Tagung der Evangelischen Akademie Siebenbürgen, die letztes Wochenende in Kronstadt stattfand

"Da steckt Material drin für fünf Doktorarbeiten!" stellte Gerhard Möckel fest, als er beim Klausenburger Militärgericht die Akten des Prozesses einsehen durfte, in dem sein Vater, der damalige Kronstädter Stadtpfarrer Konrad Möckel, einer der Hauptangeklagten war - dem sogenannten schwarze-Kirche-Prozeß des Jahres 1958. Zwanzig Kronstädter sächsische Intellektuelle, die meisten von ihnen junge Leute zwischen 20 und 28, wurden damals nach monatelangen qualvollen Verhören durch die Securitate zu jahrelangen, neun von ihnen zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt.

"Lotul Bisericii negre" nannte die Securitate die Gruppe, wohl auch weil vier ihrer Mitglieder Mitarbeiter der Schwarzen Kirche waren: außer dem Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel, die Kirchenväter Fritz Roth und Guido Fitz sowie der Mitarbeiter des Gemeindeamtes, Dr. Werner Theil. Zwischen Dezember 1957 und Juli 1958 inhaftiert und im selben "lot" abgeurteilt wurden weiterhin Horst Depner, Günter Volkmer, Karl Dendorfer, Gerhard Groß, Rainer Szegedi, Günter Meichior, Heinz Taute, Theodor Moldovan-Sponer, Hans Bordon, Peter Hönig, Oskar Kutzko, Kurt-Felix Schlattner, Emil Popescu Krafft, Gerd Fuder und die Geschwister Maria Luise und Herbert Roth. Sechs von ihnen waren der Tagungseinladung nach Kronstadt gefolgt: Dendorfer, Moldovan-Sponer, Honig und Schlattner (aus Deutschland), Maria Luise Roth-Höppner und Heinz Taute (Hermannstadt bzw. Kronstadt), dazu Harald Siegmund ein Verurteilter im Schriftstellerprozeß, einem anderen politischen Prozeß jener Jahre.

Einige der jungen Leute waren befreundet gewesen und hatten sich zu Diskussionsabenden regelmäßig getroffen, andere hatten behördlich genehmigte kulturelle Initiativen gehabt, wie die Gründung eines Lesekreises im LKW-Werk oder sie hatten die Jugendstunden von Pfarrer Möckel besucht, ändere hatten nur das Pech, die Kinder einer einst führenden sächsischen Persönlichkeit zu sein, so die Geschwister Roth. Daß ihr Vater, der sächsische Politiker Hans Otto Roth - wie auch Konrad Möckel - ausgesprochene Nazigegner gewesen waren, spielte keine Rolle mehr, denn was die Securitate eigentlich bestrafen wollte, weil sie darin eine Gefahr für das System erkannte, war die vermeintliche Fähigkeit der Angeklagten, meinungs- und gruppenbildend zu wirken und eine regimefeindliche Bewegung auslösen zu können. Die Anklage lautete auf Vaterlandsverrat, und die Urteilsbegründung liest sich heute nachgerade wie ein Lob patriotischer Gesinnung: "Sie beabsichtigten, mit der deutschen Minderheit eine Insel westlicher Kultur zur Bekämpfung des internationalen Kommunismus zu schaffen" (zitiert nach Karl Dendorfer). Keinem von ihnen konnte eine feindliche Tat nachgewiesen werden, so wurde die angebliche Absicht für die Tat genommen.

Der "Schwarze-Kirche-Prozeß" muß, wie Günter Volkmer in einem umfassenden Rückblick betont (in der Neuen Kronstätter Zeitung vom 1. März und 1. Juni 1993), im Kontext der Repressionen gesehen werden, die nach der ungarischen Revolution des Jahres 1956 im ganzen Ostblock jede oppositionelle Regung im Keim ersticken sollte, und war - so die Einschätzung Vollners - "von der Securitate als politischer Schachzug mit paralysierender Breitenwirkung gegen die deutsche Minderheit in Rumänien gedacht". Der Schwarze-Kirche-Prozeß war nur der erste, wenngleich der spektakulärste Gruppenprozeß gegen die Rumäniendeutschen, dem weitere Verhaftungen und Einschüchterungsprozesse folgen sollten (u.a. der Schriftstellerprozeß, der Sankt-Annensee-, der Prejbeprozeß).

Rund 2.000 Seiten umfaßte allein die Anklageschrift, die auf zahlreichen, unter physischer und psychischer Folter abgenommenen Verhören fußte (auch Psychodrogen wurden, wie Volkmer berichtet, eingesetzt), auf geheimen informationen, echten und erfundenen Beweisstücken, Fotos u. a. m. - ein gewaltiges, mit diabolischer Sorgfalt inzeniertes Material, das lange Zeit (auch nach 1989) der Öffentlichkeit unzugänglich war und von dem bis heute von den Betroffenen nur ein Bruchteil eingesehen weiden konnte.

Einer, der sich besonders beharrlich um die Enttabuisierung des "Schwarze-Kirche-Prozesses" bemüht hat, ist gerade Gerhard Möckel, der Leiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen. Vier Jahre lang hat er erfolglos versucht, eine klärende Tagung zum brisanten Thema zu veranstalten. Die Angst, daß "die Dämonen der Vergangenheit noch lebendig sind" (50 ein Tagungsthema) dauerte unter den Prozeßopfern über die Wende des Jahres 1989 an und sitzt tief auch in den nicht direkt betroffenen Zeitzeugen, die durch gezielte Desinformation und/oder diverse Schikanen gelernt hatten, einen Bogen um die "Politischen" zu schlagen (in diesem Fall die "Edelsachsen", ein Name, den - so Theodor Moldovan-Sponer - die Securitate der Gruppe aufdrückte, um sie in der sächsischen Gemeinschaft zu diskreditieren) und sich überhaupt aus jeder (nicht genehmigten) politik herauszuhalten. Viele sächsischen Verantwortungsträger der Kirche und der Schule scheuen heute noch nahezu panisch davor zurück, die Auseinandersetzung mit politisch besetzten Themen in den von ihnen behüteten Institutionen zuzulassen. Ein leider typisches Beispiel lieferte jetzt die Honterusschule, die zwar die Tagung in ihrer Aula beherbergte, aber ihre Schüler streng vom Tagungsgeschehen abschirmte.

Die neue (von namhaften Opfern der kommunistischen Kerker mitgetragene) Regierung, hat bislang durch eher symbolhafte Gesten - die Rückgabe der rumänischen Staatsbürgerschaft an König Mihai oder die Entschuldigung von Außenminister Severin für das an den Rumäniendeutschen verübte Unrecht - die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit begonnen. Tatsächlich habe sie, so die bekannte Fernsehjournalistin Lucia Hossu-Longin, noch so gut wie nichts getan, um die Häscher und Henker von gestern zur Verantwortung zu ziehen und die Opfer zu rehabilitieren. Hossu-Longins Serie über den rumänischen Gulag, Memorialul durerii (Das Memorial des Leidens), ist bereits bei der 57. Serie angekommen, doch habe bislang noch nie die Staatsanwaltschaft oder sonst eine staatliche Institution Interesse gezeigt an dieser Dokumentation, Im Gegenteil, gerade die Staatsanwaltschaft habe den vom Abgeordneten Ticu Dumitrescu, einem ehemaligen politischen Häftling, 1992 angeregten "Prozeß des Kommunismus" geschickt wieder begraben und zeige auch heute keine Neigung, sie des schmutzige Erbes anzunehmen. "Wir haben sieben verlorene Jahre hinter uns", so Hossu-Longin bitter.

Daß auch die rumänische Justiz, zumindest auf der unteren Ebene, keinen Handlungsbedarf sieht, das an unschuldigen Menschen verübte Unrecht zu reparieren, machten die Stellungnahmen von zwei Kronstädter Juristen, Iancu Mandru und Silvlu Jecu, deutlich. Die Täter von ehedem juristisch zu belangen, sei wegen der Verjährung so gut wie unmöglich, bedauerte Mandru. Jecu, ein ansonsten wegen seiner Zivilcourage in Securitate-Zeiten von den Kronstädtern sehr geachteter Rechtsanwalt, verstieg sich sogar zu der Behauptung, der derzeitige Staat habe mit dem ehemaligen Staat nicht das geringste gemein und könne somit auch keine Verantwortung für die Greuel der Vergangenheit übernehmen.

Jecus Referat heizte die Diskussion am Ende der Tagung kräftig an (die bis dahin eher meditatlv-erinnernd verlaufen war). Enttäuscht reagierten die Vertreter des Vereins der ehemaligen politischen Häftlinge. "Wir wollen keine Rache, aber unsere Henker müssen sich zu Ihren Sünden bekennen, und sie können nicht unbestraft bleiben, ohne das soziale Klima zu vergiften", so Alexandru Salci, der Kronstädter Vereinsvorsitzende. "Ob die Dämonen der Vergangenheit noch leben? Ja, und sie leben gut: die Untersuchungsrichter Barascu, Alexandrescu, Ivan, Urzicf und der Securitate-Kommandant Oberst Craciun sie leben in schönen Villen und haben dreimal so hohe Pensionen wie wir!" so Octav Bjezu, ein ehemaliger Mithäftling der Kronstädter. Bjezu bedauerte auch wiederholt die Abwesenheit der Jugend und der politischen Verantwortungsträger bei der Tagung, "weil ohne Vergangenheit keine Zukunft möglich ist".

Immerhin war das Interesse nicht nur der sächsischen, sondern auch der rumänischen Öffentlichkeit an dem Schwarze-Kirche-Prozeß sehr groß. Über hundert Teilnehmer hatte die Kronstädter Tagung. Ehemalige rumänische politische Häftlinge waren aus Solidarität sogar aus Bistritz dazugekommen, namhafte Intellektuelle (u. a. Smaranda Enache und Ana Blandiana) beehrten sie mit ihrer aktiven Anwesenheit, die rumänische Presse war relativ zahlreich vertreten. Die Zeit der Aufarbeitung der kriminellen kommunistischen Vergangenheit scheint nun auch in Rumänien gekommen zu sein. Ob dies in Doktorarbeiten, in Fernsehdokumentationen oder in dem von Ana Blandiana und Romulus Rusan im ehemaligen Gefängnis von Sighet geplanten Museum des internationalen Kommunismus geschieht oder demnächst auch in den Justizpalästen der Republik, wird sich zeigen.

Annemarie WEBER


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Dokument: ../hz/1522_6.htm, letzte Änderung 21.12.97, Autor: Michael Kothen