HZ Nr. 1554/ 19.12.1997

Warum Ausländer nach Rumänien gehen

Maria Luise Roth-Höppner: "Weil man hier in vielen Berufsbereichen noch der erste ist"

Was haben ein deutscher Rechtsanwalt, ein deutscher Gartenbauingenieur und ein deutscher Krankenpfleger miteinander gemeinsam? Alle drei sind nach Rumänien eingewandert - der eine ist nach vielen Jahren hierher zurückgekehrt -, und alle drei wollen sich hier eine Existenz aufbauen: der erste will eine Anwaltskanzlei einrichten, der zweite ein Geschäft betreiben (für die Gartenarchitektur sieht er die Zeit noch nicht gekommen), der dritte eine Sozialstation gründen. Drei von mehreren hundert, vielleicht sogar von mehreren tausend Menschen, die aus dem Ausland gekommen sind und sich in Rumänien niedergelassen haben. Ihre genaue Zahl kennt niemand, auch nicht der in Hermannstadt im Sommer 1994 gegründete Verein " Arche Noah", der es sich doch gerade zum Ziel gesetzt hat, die Rückkehrer und Neusiedler in Rumänien unter einem Dach zu vereinen. Präsidentin des Vereins ist Dr. Maria Luise Roth-Höppner; mit ihr sprach für die Hermannstädter Zeitung Horst W e b e r.

Frau Roth-Höppner, was ist die "Arche Noah"?

Unser Verein ist eine Interessengemeinschaft zur Unterstützung von Rückwanderern und Einwanderern in Rumänien, und zwar nicht nur solchen, die aus Deutschland kommen, nicht nur von rückkehrwilligen oder bereits zurückgekehrten Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, sondern im Prinzip von allen, die aus anderen Ländern kommen und hier neu oder wieder neu beginnen. Allerdings kommt das Gros unserer Mitglieder bzw. derer, die beim Verein vorsprechen, aus Deutschland, und zwar deshalb, weil von Hermannstadt aus die Beziehungen zu Deutschland einfach intensiver sind.

Was tut der Verein, welche Hilfe kann er geben?

Erstens: Er berät die Leute. Denn fast jeder, der zur "Arche Noah" kommt, hat irgendein Problem: mit der Rente, der Krankenversicherung, der Staatsbürgerschaft, dem Visum, der Wohnung - oder überhaupt der Besitzrückgabe -, dem Arbeitsplatz, der Firmengründung, der Startkapitalbeschaffung usw., usf. Unser Verein kann diese Probleme nicht lösen, aber er kann Rat erteilen, Kontakte und Adressen vermitteln, Informationsmaterial, soer´s hat, weitergeben. Zweitens: Unser Verein versucht, diese Probleme, soweit sie in die Kompetenz der Staaten fallen, an die jeweilige Regierung heranzutragen. Drittens: Wir sprechen mit den Leuten, was besonders bei potentiellen Rückkehrern sehr wichtig ist. Im Laufe der oft langen Gespräche, die ich mit ihnen führe, merken sie, daß ich aus eigenem Aussiedler-Erleben und aus der Kenntnis vieler anderer Rückkehrer Schicksale sehr wohl verstehe, was sie hierher, in die vertraute Umgebung, zurückzieht. Die "Arche Noah" ist einer der wenigen Orte, wo das Erwägen einer Rückkehr nach Rumänien nicht als eine Absurdität, sondern als eine natürliche und überlegenswerte Alternative für die Zukunft angesehen wird, und wo man von anderen Rücksiedlern oder solchen, die eine Einwanderung planen oder bereits vollzogen haben, erfahren kann.

Wieviel Mitglieder vertritt der Verein?

Die "Arche Noah" hat 78 eingeschriebene Mitglieder, vertritt in Wirklichkeit aber sehr viel mehr. Eine genaue Zahl kann ich nicht nennen, ich kann nur als Beispiel anführen, daß ich im Jahr 1997 von 180 Personen erfahren habe - von denen mindestens 120 persönlich beim Verein vorgesprochen haben -, die neu in Rumänien sind oder wieder hier leben. Unsere Aktivitäten sind leider stark auf Hermannstadt eingeschränkt, weil wir aus finanziellen und personellen Gründen Erhebungen außerhalb Hermannstadts nicht recht durchführen können, obwohl unsere Interessen natürlich landesweit sind. So kommt es, daß mir im Kreis Hermannstadt 159 Neusiedler und 105 Heimkehrer bekannt sind, im Kreis Kronstadt aber nur 39 und 16,im Kreis Temesch 41 und 30 und in Bukarest gar nur 32 und 7, was bei der dortigen Millionenbevölkerung und der Anzahl der gemischten Firmen gänzlich unwahrscheinlich ist.

Was für Personenkategorien aus dem Ausland siedeln sich in Rumänien an?

Das sind als erstes die Rückkehrer, wobei zu unterscheiden ist zwischen denen, die aus Heimweh oder weil sie hier eine Zukunft für sich sehen - aber jedenfalls aus freien Stücken - in ihr Ursprungsland zurückkehren, und denen, die im Westen, möglicherweise nach Jahren, keine definitive Aufenthaltsbewilligung bekommen haben und nun gezwungenermaßen rücksiedeln. Unter den letzteren gibt es oft Problemfälle: Sie haben keine eigene Wohnung, die Kinder finden sich im rumänischen Bildungssystem nicht zurecht usw. Aufs ganze gesehen stellen die Rückkehrer- zumindest im Kreis Hermannstadt, wo die Zahlenangaben kompletter sind- etwa vierzig Prozent des Zuzugs aus dem Ausland dar. Die zweite große Kategorie, die größere, sind die Neusiedler. Im Vergleich zu den Rückkehrern sind sie im Schnitt jünger - weil unter den Rückkehrern mehr Rentner sind -, sie haben mehr Kinder. Beruflich geht es in beiden Personengruppen querbeet - vom Handwerker zum Studenten, von der Hausfrau zum Pfarrer -, wobei von der Anzahl her die Lehrer, die Sozialarbeiter und die freien Unternehmer dominieren.

Abgesehen von den Heimwehkranken, den von einer Firma oder einer Regierung Entsandten - Beispiel Gastlehrer - und den unangepaßten Aussteigern...

...die unter den Neusiedlern, wohlgemerkt, häufiger zu finden sind als unter den Rückkehrern...

...was für Gründe gibt es, nach Rumänien auszuwandern?

Die meisten Neusiedler und Rückkehrer versprechen sich hier etwas, was in Deutschland sehr viel schwieriger ist, nämlich Phantasie entwickeln zu dürfen bei dem, was sie beruflich unternehmen. In Rumänien ist man in vielen Berufsbereichen noch der erste, in Deutschland ist mander tausendste, und alle neunhundertneunundneunzig vor einem sind beruflich besser als man selbst. Und man kann in Rumänien mit wenig Geld etwas auf die Beine stellen, was zwar klein, aber hier neu ist und, vor allem, einem selbst gehört. In einer so durchstrukturierten Gesellschaft wie der deutschen ist das nicht selbstverständlich. Aber man mußja nicht unbedingt ein freier Unternehmer werden. Deutsch zu können ist in Deutschland eine Selbstverständlichkeit, in Rumänien nicht. Wenn man deutsch spricht und dazu etwas Englisch, wenn man eine deutsche Berufsausbildung genossen hat (auch wenn sie in Deutschland nicht zu einerStelle geführt hat) und ein wenig mit dem Computer umgehen kann, und wenn man - als Rückkehrer - obendrein das Rumänische beherrscht und mit der hiesigen Mentalität vertraut ist, dann ist man in Rumänien eine begehrte Kraft, besonders bei den mittlerweile schon sehr zahlreichen westlichen Firmen, die sich hier niedergelassen haben.

Leute, die aus einem Land aus- und in ein anderes Land einwandern, kommen oft zwischen die Stühle zu sitzen. Auf was für Probleme stoßen Rückkehrer wie Neusiedler?

Hüben wie drüben - ich denke jetzt an Deutschland - ist dieser Migrationsvorgang gesetzlich nicht genügend berücksichtigt. Zum Beispiel: Deutschland lehnt die doppelte Staatsbürgerschaft grundsätzlich ab; ein deutscher Staatsbürger kann nicht die rumänische Staatsangehörigkeit erwerben, ohne die deutsche zu verlieren. Aber unter Umständen können zwei Staatsbürgerschaften von Vorteil sein. Rumäniens Gesetzgebung wiederum ist auf den Zuzug von Ausländern überhaupt nicht vorbereitet: Ein Ausländer, der in Rumänien lebt, mit einer Rumänin verheiratet ist und mit ihr Kinder hat, wird von der Polizei als Tourist geführt und muß alle paar Monate ausreisen und wieder einreisen, um sein Visum erneuern zu können, anstatt eine Daueraufenthaltserlaubnis zu bekommen.

Gibt es Spinner unter denen, die nach Rumänien einwandern?

Sicher, die machen sich auch eher als andere zu irgendwelchen Abenteuern auf, aber ihr Prozentsatz ist nicht größer als in jeder normalen Gesellschaft.

Ist es heutzutage ein Abenteuer, nach Rumänien zu gehen?

Nein, man geht ja nicht in die Tropen, sondern in ein Land, das zunehmend westlicher wird. Wir danken Ihnen für das Gespräch!

 

  • Maria Luise Roth-Höppner, die Tochter des siebenbürgisch-sächsischen Politikers Hans Otto Roth, in kommunistischer Zeit aus politischen Gründen inhaftiert, dann nach Deutschland ausgesiedelt, kehrte gleich nach derWende nach Rumänien zurück und gründete hier den Verein "Arche Noah": "Ich will niemanden überreden, nach Rumänien zugehen; ich will nur denen zureden, die es schon immer wollten, aber nicht auszusprechen wagten." Zusammen mit ihrem Mann, einem Hamburger, betreibt sie in Hermannstadt einen Verlag samt Computersatzstudio.
  • Mehr Informationen zu diesem Thema erhalten Sie bei der Interessengemeinschaft der Rück- und Neusiedler "Verein Arche Noah", Frau Maria Luise Roth-Höppner, str. Somesului 13, 2400 Sibiu/ Hermannstadt, Rumänien, Telefon: 0040-69-21.18.39,21.25.88, Fax: 0040-69-21.18.39, e-Mail: hoeppner@logon.cjnet.ro

     

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    Dokument: ../hz/1554_1.htm, letzte Änderung 29.01.97, Autor: Michael Kothen