Die Reiseerzählungen eines Pfarres
aus dem Jahr 1903

             Nicht minder beschwerlich als die Fahrt nach dem lieben Gergersdorf ist es , nach der anderen Seite wieder daraus herauszukommen,den auch dieser Weg ist nichts weniger als annehmlich und verlockend. Es war mir, der ich ähnliche Expeditionen schon des öfteren miterlebt habe, geradezu erheiternd, das wachsende Erstaunen auf den Mienen des Herrn Archidiakonus H. Jakobi aus Weimar zu beobachten, während die Vorbereitungen zu unserer Weitereise getroffen wurden, alsdie Vorspann vor unsere Pferde geführt wurde und ein wegkundiger junger Mann das Sattelpferd bestieg, als die "Gabel" unter dem Wagen freigemacht ward und endlich der wackere Kirchvater mit einem langen Stecken ausgerüstet erschien, der, wie wir ihm unsere Freude darüber ausdrückten, das er uns auch das Geleite geben wolle, ruhig und ganz selbstverständlich erwiderte: "Ich muss an manchen stellen den Wagen halten, das Sie nicht überdrehen." - Die Straße schlängelt sich zwischen Wiesen Maisfeldern und Wald zimlich eintönig dahin, da jeder Fernblick durch die niederen Hügel ringsumher versperrt wird; wo der Weg gar zu halsbrecherisch wird, da nimmt der nicht sehr rücksichtsvolle Rosslenker keinen anstand auch mitten durch den hohen Kukuruz zu fahren, mit der wenig stichhaltigen Entschuldigung: "Es ist ja mehr da". Erst kurz vor Weingartskirchen lichtet sich die Gegend; die Umschau wird weit bis ins Maroschtal hinab und das sonst so unangenehme Knarren und Knirschen der ersten Steinchen unter den Wagenrädern klingt nach so langem Morastgeplatsch dem Reisenden wie angenehme Musik.
              So erlauben Sie denn, verehrte Zuhörer, das wir nach so mühsamer Fahrt zu kurzer Rast uns in das nahe Weingartskirchen begeben, um diese vom Gustaf - Adolf - Verein unterstützte Gemeinde ein wenig in Augenschein zu nehmen. Ich muß immer, wenn ich dieses Dorf betrete, an die Geschichte unserer Pfingsttagepistel denken, da die leute Kreter und Araber, Parter und Meder usw. verwundert fragen: "Wie hören wir denn ein jeglicher seiner Sprache, darinnen wir geboren sind?" denn ein solches Völker und Sprachengemisch, wie hier in Weingartskirchen, ist jedenfalls nur nahe der östlichen Grenze Europas möglich und seit den Zeiten des babylonischen Turmbaues schwerlich sonstwo anzutreffen. "Und es ist doch erstaunlich wie unsere Brüder ihre Sprache und Sitten beibehalten haben und sich nicht mit den anderen nationen gekreuzt haben."Wenn mann sich aber die Besitzer der dortigen Güter und Waldungen und deren natürliche Zuneigung zu Arbeitern und Bediensteten ihers Geschlechtes und ihrer Sprache berücksichtrigt, so findet mann es begreiflich, das alle Nationalitäten und Konfessionen unseres engeren Vaterlandes unter dem 3120 Einwohnern dieser Gemeinde vertreten sind. Doch uns sind hier begreiflicher Weise nur unsere Glaubens- und Volksgenossen interessant und vorab die Frage: Wie kommen die hierher? Was führte unabhängige sächsische Bauern vom freien Königsboden in das Jobagentum? Die Antwort ist wahrscheinlich darin zu suchen, das Glieder des einst so mächtigen Gräfenhauses von Kelling  in Weingartskirchen begütert waren und dorthin übersiedelten. Mit ihnen aber zog ein Troß gut besoldeter Diener und Arbeiter in die neue Heimat und aus diesen und ihren Befreundeten enstand allmählich eine sächsische Kolonie, deren Nachkommen auch heute noch in Weingartskirchen seßhaft sind. Aber wie einst ihre Väter als arme, unbemittelte Diener eingezogen sind, so sind bis auf den heutigen Tag die Weingartskirchenr evangelische
Sachsen arme, unbemittelte Kleinbauern geblieben, die, 750 Seelen stark, in der mehr als 3-mal größeren Zahl der Anderskonfessionellen fast ganz verschwinden und in dem öffentlichen Leben der Gemeinde nur eine untergeordnete Rolle spielen. Trotzdem wollenauch sie sich es auch bis noch nicht nehmen lassen, ihre Kinder in ihrer deutschen Muttersprache unterichtet zu wissen und in ihrem Gotteshaus aus Luthers deutscher Bibeldas Gotteswort zu vernehmen und das heist ja bekanntlich in unserem Vaterlande so viel als, sie müssen dann die Ausgaben für die Schule und Kirche, bis zum letzten Tintenfaß herab, selbst bezahlen, da einem deutschen Unterricht und Gottesdienst sonst alle Taschen und Herzen verschlossen gegenüberstehen. Zur  notdürftigen Deckung der laufenden jährlichen Bedürfnisse für Kirche und Schule benötigen die Weingartskirchner aber den Betrag von 1895 K 70h, oder etwa
12 K 50 h von jedem Ehepaar. Sie Denken vieleicht, geehrte Zuhörer: das ist doch gar nicht überässig viel; wir Großpolder, Hamlescher, Uhrweger und Dobringer leisten ja grössere  Abgaben für unsere Kirche. Jawohl! das tun Sie und die Kirche weiß Ihnen herzlichen Dank dafür, aber bedenken sie nur auch die verschiedenen Erwerbs- und Lohnverhälltnise hier und dort. Während bei uns ein Tagelöhner  1 - 2 K mit seiner Kost täglich verdient, bekommt dort ein Arbeiter 40 - 60 h und während bei uns Gott sei Dank! noch viele richtige
" Specksachsen" gibt, die oft erst vom zweijährigen Speck schneiden und aus vollen Kornkästen für die Mühle einfüllen, sind drüben meist arme Leute, die von dem Tagelohn der Gutsherrschaft leben und Speck und Brot kaufen müssen. Und nun rechnen Sie einmal gefälligst nach, wie viele Tage ein solcher Mann arbeiten muß, um nur die Kirchenumlagen von über 12 K herauszubekommen und was ihm noch übrigbleibt dann nach Abzug der Steuern und Gemeindeabgaben zum Leben noch übrig bleibt. Aber trotzdem es ihnen so furchtbar schwer wird und trotzdem von seiten des Staates eine Magyarische Schule in die Gemeinde erhalten wird und trotzdem ihnen immer wieder die  großen materiellen Vorteile recht handgreiflich vorgeführt werden, die ihnen aus einem Abfall  (abdankung vom evangelischen Glauben) erwachsen würden, zahlen die Leute noch unentwegt ihre Abgaben für ihre evangelische Kirche und deutsche Schule weiter, so daß mann durch solche Glaubens- und Volkstreue unwillkührlich gemahnt wird an jenes Wort des Apostels Petrus, der wegen seiner Predigt und seines christlichen Glaubens gefangen und hart bedroht doch freudig und fest sprechen mußte: " Wir können es ja nicht lassen."
       Allein neben diesen laufenden Ausgaben für Kirche und Schule, deren Aufbringung schon mit so großen Opfern verbunden ist, sind nun in den letzten Jahren auch vielfache Reparaturen nötig geworden, die immer recht ansehnliche Summen zu ihrer Durchführung erforderten. Von dem nördlich von der Gemeinde hinziehenden Bergrücken schaut die prächtige gotische Kirche herab ins Tal. Ein Kellinger Gräfensohn hat sie einst erbaut und sein Wappen über ihr Portal geheftet; in ihrem Chore aber ruht der Staub von so manchen mächtigen und in der Geschichte unseren Vaterlandes einen hervoragenden Platz einnehmenden, adligen Herrn. Im wechselvollen Lauf der Zeiten sind die Familien dieser Geschlechter teils gestorben, teils verdorben und ihr Erbe hat der Bauersmann angetretten, darunter auch die schöne Kirche. Aber freilich nicht immer in ihrer ursprünglichen Schöne und Stärke steht sie heute da, auch sie ist mit den Jahren eine alte runzlige Matrone geworden. Das Mauerwerk bröckelt auf allen Seiten herab und mehrfache Hagelschläge haben ganze Stücke daraus gelockert und vor kurzem das Dach zerschlagen. Der Blitz hat vor einigen Jahren einen Teil der Chormauer fortgerissen, die Fenster und Türstöcke sind verfault und eingestürzt, der Fußboden morsch und lückenhaft geworden, auf allen Seiten drohte der Verfall. Da fühlten die Weingartskirchner die Ganze Schwere des Poetischen Wahrwortes:
" Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu Besitzen!"
            Und sie wollten ihr teures Erbe nimmer fahren lassen, wollten es erwerben und sich seiner würdig erweisen. In edlem Wettstreit trugen Männer und Frauen zusammen, was sie in Haus und Hof entbehren konnten. Die einen brachten Früchte des Feldes, die anderen Erzeugnisse ihres Gemüsegartens und Hühnerhofes; Heller wurde zu Heller gelegt und bald waren 600 K beisammen und die Reparaturen begannen. Neue fenster und Türen erstanden, das Dach erhielt, wo es schadhaft war, frische Bedeckung, die Mauerrisse wurden ausgebessert, das alte Gotteshaus Bekamm wieder ein ordentlich jugendliches Aussehen. Allein die gesammelten Groschen reichten nicht weit, zumahl auch das Pfarrhaus ganz bedenkliche Schäden aufwies und dringend der Erneuerung bedurfte. Da entschloss sich die Gemeinde, eine Schuldenlast von 1950 K aufzuhnehmen und hoffte durch längere Zeit andauernde Selbstbesteuerung mit Gottes und guter Menschen Hilfe auch dies efür so arme Leute recht hohe Summe wieder zu begleichen. Doch schon im letztvergangenen Jahre fiel auf diese Hoffnung ein tiefer Schatten, als dieselben Hagellwetter, die die Nachbargemeinde Gergersdorf so schwer heimgesucht hatten, auch über die Gemarkung von Weingartskirchen hinüberzogen: bitteres Elend und nackte Not zurücklassend. Zudem wurden gerade in diesem Jahre die Kosten für die eben durchgeführte Kommaffation fällig und die gerichtlichen Exekutionen kamen auf die Tagesordnung der Gemeinde. Dürfen wir uns da wundern, wenn Kleinmut und Verzagtheit ihren Einzug hielten in die Herzen unserer Brüder? Ist es nicht begreiflich, das Verzweiflung an ihres Glaubens und Volkstums Zukunft sich der Führer der Gemeinde bemächtigte? Doch nein, wir dürfen sie nicht verzagen und verzweifeln lassen, denn erst wer sich selbst aufgibt, ist wirklich unrettbar verloren. Und das sie davor bewahrt wurden und wieder neuer Mut und neues Hoffen eine Heimstätte finde auch bei diesen Glaubensgenossen, dazu hat, meine ich das lobliche Presbyterium den rechten Weg gefunden, indem es sich um Beistand flehend an den großen Helfer unserer evangelischen Kirche, an den Gustav - Adolf - Verein wandte. Wir sind überzeugt, das er auch an diesem verlassenen
Häuslein, das an seinem Wege steht und lautv ruft: "Erbarme dich unser", nicht teilnahmlos wird vorübergehen, vielmehr, wie schon an so vielen, das Psalmwort wird wahr machen: "Das
du mich in der Not anriefest, half ich dir aus und erhörte dich."








Kirche