HZ Nr. 1537/ 22.08.1997

Die Gerichte mästen die Advokaten und ruinieren die Kontrahenten

Eine 78jährige Hermannstädterin kämpft wie tausende andere Hausbesitzer mit dem Staat um Ihr Erbe.

Herta Ingeborg Kaiss ist 78 Jahre alt und hat ein schwaches Herz. Aber ihr Lebensmut ist ungebrochen. "Ich habe mir vorgenommen, noch solange zu leben, bis ich mein Haus zurückgewonnen habe." Prozesse und Verleumdungsklagen, Vorladungen zur Polizei, Attacken in der Presse, der dauerhafte und kostspielige Umgang mit den Anwälten bestimmen seit fünf Jahren ihre Existenz.

Frau Kaiss ist ein mehrfaches Opfer der Kriegs- und Nachkriegszeit. Den "Zusammenbruch" 1944 der bürgerlichen sächsischen Welt erlebte sie in Budapest, wo sie ihre Schwester besucht hatte. Sie wagte es nicht nach Siebenbürgen zurückzukehren, und als auch in Ungarn die Kommunisten an die Macht kamen, floh sie nach Österreich. Erst 1958 kehrte sie zurück. Ihr Sohn warinzwischen 20, sie selbst hatte keinen Beruf, ihr Vater Hans Karl Kaiss (vor 1944 Redakteur beim Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt und leitender Angestellter der Handelskammer) fristete als Lagerverwalter sein Dasein. Er hatte sein Vaterhaus in der Bedeus-Gasse verkauft und eine kleinere Etagenwohnung im Hause Stenzel in der heutigen Cristian-Gasse erworben. Seine zweite Frau, Margarete, wurde erwischt, als sie aus den paar Wertsachen, die sie vor den kommunistischen Enteignungen und Konfiszierungen gerettet hatte, verbotenerweise etwas verkaufte. Sie wurde 1958 zu einer Haftstrafe (die ihr erlassen wurde) und einer Geldstrafe von 58.000 Lei verurteilt. Es war die Zeit der Schauprozesse, als Schuld aufgebauscht und mitunter erfunden wurde, um die "feindliche Bourgeosie" zu verarmen, zu demütigen und kirre zu machen.

Zur Schuldentilgung übernimmt der Volksrat das Appartement von Familie Kaiss und übergibt es aktenmäßig penibel zur Nutzung und Verwaltung dem staatlichen Wohnungsamt ILL. Eigentlich sollte die gepfändete Wohnung verkauft und aus dem Erlös das Bußgeld beglichen werden, doch fand sich Ende der fünfziger Jahre, als der Durchschnittslohn etwa 800 Lei betrug, offenbar kein Käufer für ein so teuer angesetztes Objekt.

1992 versuchte Ingeborg Kaiss im Namen ihres inzwischen in Deutschland verstorbenen Vaters, die Wohnung, die vom Staat nie enteignet, aber auch nie rückerstattet wurde, zur eigenen Nutzung zurückzubekommen. Die alte Dame lebt ohne Rente in Hermannstadt und sie sieht nicht ein, warum sie von ihren Angehörigen im Ausland erhalten werden soll, wenn sie von ihrem Besitz in Rumänien leben könnte. Viele ältere Menschen, die in einer ähnlichen Lage sind, haben nicht die Kraft und sind nicht gewitzt genug, um sich ihr Erbe zu erstreiten oder ihren Besitz gegen die Begehrlichkeit von Erb- und Besitzschleichern aller Art auch nur zu erhalten. Frau Kaiss ist von ihrem Besitzanspruch felsenfest überzeugt, und das gibt ihr die Kraft und den Mut, für ihr Erbe energisch zu kämpfen.

Vor Gericht hatte sie zunächst keinen Erfolg. Im Übernahmeprotokoll der Wohnung Kaiss war keine Rückgabe nach der Schuldentilgung vorgesehen. Was der Staat einmal nahm, wähnte er für ewig in seinem Besitz. Deshalb schien eine Absicherung des Nutzungsanspruchs (etwa durch eine grundbücherliche Eintragung) den staatlichen Verwaltern und Nutznießern auch gar nicht nötig.

Das Kreisgericht in Hermannstadt und der Appellationshof in Alba Iulia stellten den Ewigkeitsanspruch des kommunistischen Nutzungsrechts nicht in Frage, doch Frau Kaiss gab nicht auf. Ein Anwalt riet ihr, die Erbschaft durchzuführen und sich ins Grundbuch als Erbin der väterlichen Wohnung eintragen zu lassen. Das tat Frau Kaiss. Gleichzeitig forderte sie den Vermieter (RAGCL, das ist die ehemalige ILL) auf, die Wohnung zu räumen und ihr zu übergeben. Das Wohnungsamt hatte aber schon die Anzahlung der Mieter (Familie Gherghel) angenommen, die gemäß Häusergesetz Nr. 112/1995 meinten, einen Kaufanspruch auf ihr Appartement zu haben. Nun stoppte das Wohnungsamt den Verkauf und machte damit die Mieter, die sich um ihr Schnäppchen betrogen sahen, rabiat. Diese ließen kein Mittel unversucht Strafanzeige, Verleumdung in der Presse, Klagen an den Innen- und Justizminister, Anstiftung des Bürgermeisteramtes zum Prozeß gegen Frau Kaiss –, um das Zwei-Zimmer-Appartement in bester Wohnlage nicht zu verlieren. Frau Kaiss antwortete ihrerseits mit einer Strafanzeige wegen Verleumdung, und sie schrieb auch je einen Brief an den Justiz- und an den Innenminister.

Am 16. Oktober wird der Fall vor dem Hermannstädter Kreisgericht verhandelt. Die Stadt spricht Frau Kaiss ihr Besitzrecht am väterlichen Haus ab in der Hoffnung, daß die Gerichte den Daueranspruch des kommunistischen Nutzungsrechts anerkennen. Frau Kaiss hofft, daß die Gerichte eine Rechnung aufmachen und feststellen werden, wann die Schuld ihrer Stiefmutter durch den Mietzins getilgt wurde. Es kann doch nicht sein, meint sie, daß der Staat zweimal abkassiert, einmal dreißig Jahre lang die Miete und dann den Verkaufswert des Hauses, das er nur leihweise besaß.

Zwei Rechtsauffassungen stehen sich gegenüber, die kommunistische, die dem Staat in jedem Fall Recht gibt, und die bürgerliche, die das Privateigentum gegen Übergriffe – auch die des Staates – schützt. Es ist heute in Rumänien Glückssache, welche sich durchsetzt. Es gewinnt, wer mehr zahlt, hat jemand, der es wissen muß, Frau Kaiss gewarnt. Die unterschiedlichen Rechtsauslegungen mästen die Advokaten und ruinieren die Kontrahenten.

Das kommt daher, daß sich Rumänien spät und vorläufig nur verbal (in Gelegenheitsansprachen Präsident Constantinescus) zur kommunistischen Schuld bekannt hat. War der Kommunismus ein Unrechtsregime oder ein Rechtsstaat? Die Politiker behaupten ersteres, die Gerichte letzteres. Die Frage hat sich bislang noch keine postkommunistische Regierung, auch nicht die jetzige grundsätzlich und mit Berücksichtigung aller Konsequenzen gestellt.

Solange die Opfer des Kommunismus nur mit Symposien, der Veröffentlichung ihrer Memoiren und sentimentalen Reden getröstet, nicht aber rehabilitiert und das begangene Unrecht in jedem einzelnen Fall wiedergutgemacht wird, wird sich die Nation in den Haaren liegen, wird jeder jeden verdächtigen und beschuldigen, die ehemaligen Grundeigentümer die ehemaligen Kollektivisten, die ehemaligen politischen Häftlinge die ehemaligen Sekuristen, die ehemaligen Hausbesitzer die Mieter und umgekehrt.

Frau Kaiss aber hat nicht viel Zeit. Sie will notfalls ihr Recht beim Europäischen Gerichtshof einklagen.

Annemarle WEBER


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Dokument: ../hz/1537_1.htm, letzte Änderung 20.09.97, Autor: Dirk Beckesch